Umgekehrter Kulturschock

Nach einem Jahr im Ausland nach Deutschland zurückkehren – dem Rückflugdatum sehen viele Austauschschüler mit gemischten Gefühlen entgegen. Anders als bei der Hinreise weiß man eigentlich, was auf einen zukommt: die eigene Familie, das bekannte Umfeld, der gewohnte Gegend. Gleichzeitig bedeutet es jedoch, ein Leben hinter sich zu lassen, das man selbst aufgebaut hat und in das man nie wieder zurückkehren kann. Zum Thema „umgekehrter Kulturschock“ und Einleben im Heimatland möchte ich heute etwas schreiben.

Seit dem letzten Blogpost ist nun schon ein ganzes Jahr vergangen. Als ich die Statistiken  überprüft habe, fiel mir aber auf, dass trotz meiner Inaktivität noch regelmäßig Besucher auf diese Webseite finden – an dieser Stelle: herzlich willkommen auf El Rundo Mundo! Falls ihr ebenfalls Austauschschüler seid, hoffe ich, das Stöbern hier hilft euch ein bisschen. Der Beitrag heute ist für die, die ihren Aufenthalt bald beenden werden, und alle, die es interessiert, wie ich die Rückkehr nach Hause damals erlebt habe.

Damit sind wir auch schon bei einer wichtigen Frage. Die Bedeutung von „zuhause“ kann sich innerhalb eines Jahres nämlich gewaltig verändern. Vielleicht hat man seine Wurzeln bei der Familie, in der man seine Kindheit verbracht hat, in der Stadt, wo man aufgewachsen ist, aber ich halte daran fest, was ich schon im April 2016 geschrieben habe: Heimat ist ein Gefühl.
Obwohl ich mich in der ersten Gastfamilie bald nicht mehr wohlfühlte, obwohl ich durch mein Aussehen überall eindeutig als Europäerin abgestempelt wurde und bis zum letzten Tag neue Vokabeln lernte, habe ich mich eingelebt. Was mir anfangs ungewohnt und fremd vorkam, war schon bald normal.
Das haben viele von euch Lesern gemerkt: die Updates auf meinem Blog wurden seltener und die Berichte weniger ausführlich, weil so viel für mich selbstverständlich geworden war. Auch fiel es mir zunehmend schwerer, täglich neue Fakten über Costa Rica zu finden. Man findet seinen Freundeskreis, seinen Rhythmus, seinen Alltag und lebt darin über Monate hinweg. Und gerade, wenn es am schönsten ist… geht es vorbei. Die letzten Wochen vergingen wie im Flug und plötzlich gab es lauter letzte Male: Volleyballtraining, Großelternbesuch, Schulbus fahren. Und dann die Abschiede! Innerhalb eines Jahres waren mir viele Menschen sehr ans Herz gewachsen, und es tat weh, sie zurückzulassen.

Aber auf der anderen Seite (des Atlantik) waren da meine besten Freunde, meine Eltern und Schwestern, sämtliche Verwandte und Bekannte, die altbekannten Orte voller Erinnerungen. Wiedersehensfreude geht in Reisevorbereitungen und Abschiedsschmerz allerdings oft unter und offen gestanden war ich bis zum Abflug ziemlich unglücklich. Erst auf der Rückreise konnte ich die Situation akzeptieren und nach vorne sehen; mich darauf konzentrieren, was mich erwartete, statt nur auf das, was ich zurückgelassen hatte. Das Ankommen habe ich dann auch tatsächlich sehr positiv erlebt.

Was mir an meinem ersten Tag in Deutschland auffiel:

  • Die Autobahnen sind unglaublich! So gleichmäßig und breit und koordiniert. In Costa Rica ist das anders – Schlaglöcher und ewig lange Staus sind der Normalfall und schwere Verkehrsunfälle leider auch keine Seltenheit.CR_2017_06_30_2083
  • Die Währung. Euro-Münzen fühlen sich ganz anders an als Colones – kleiner und  viel kompakter, außerdem zweifarbig und mit Gravierungen.
  • Deutsche Brezeln sind die besten  😉
  • Fahrräder! Ich habe einen richtigen Lachanfall bekommen, als ich die Fahrräder vor unserem Haus sah, weil das irgendwie ein ungewohnter Anblick war. In Costa Rica werden sie wenn, dann zu sportlichen Zwecken und nur selten als Transportmittel genutzt.
  • Fremde Leute erwidern mein Lächeln oder einen Gruß manchmal nicht. Frustrierend.
  • Die Häuser sind viel besser abgedichtet und isoliert. In Mittelamerika war es für mich normal, dass es zieht und die Fenster nicht ganz schließen. Das mag nach prekären Verhältnissen klingen, andererseits sind die klimatischen Bedingungen weniger extrem und die Temperaturen schwanken nicht so stark.

Natürlich wollte ich auch meine Freunde alle so bald wie möglich wiedersehen. Ich hatte schon am ersten Wochenende eine Willkommensparty samt Quiz und typischer Musik.
Danach traf ich die Menschen, die mir wichtig waren, einzeln, um mir genug Zeit für jeden zu nehmen. Schließlich gab es eine Menge zu erzählen!

In der Anfangszeit sprach ich ständig Leute auf Spanisch an. Das legte sich natürlich recht schnell. Aber Redewendungen und Ausrufe sowie Entschuldigungen habe ich noch viele Wochen beibehalten, was immer wieder für verdutzte Gesichter und amüsante Situationen sorgte. Was ich (außer den Leuten) am meisten vermisste, war wahrscheinlich das lateinamerikanische Flair. Deutschland kam mir verglichen mit dem fröhlichen, lauten, bunten Costa Rica zunächst trist und langweilig vor.

Für mich war es deshalb sehr gut, dass ich im Juli ein Praktikum am Theater geplant hatte. Erstens hatte ich einen strukturierten Tagesablauf, der mir auch half, den Jetlag zu überwinden. Zweitens war ich beschäftigt und vermied dadurch, in ein „Loch“ des Heim-/Fernwehs zu fallen. Außerdem konnte ich viele spannende Erfahrungen sammeln. Es war definitiv besser, als wenn ich in dieser Zeit die Schule besucht hätte (das wäre die Alternative gewesen).

Dann waren auch schon Sommerferien und ich war auf einem Zeltlager und danach mit meiner Familie für 10 Tage in Kroatien. In diesem Urlaub haben wir uns wieder eingespielt und aufeinander abgestimmt. Es gab Streit, aber wir haben auch viele schöne Stunden verbracht, gemeinsam gekocht und tiefsinnige Gespräche geführt.

 

Nach den Ferien kam ich in die 11. Klasse auf der Schule, die ich auch vor meinem Auslandsjahr besucht hatte – allerdings in einen anderen Jahrgang, da meine frühere Stufe ja mittlerweile schon in 12 war.
Für mich gab es nur geringfügig andere Schulfächer (Chemie und Kunst hatte ich abgewählt, Literatur&Theater kam dazu). Lehrer und Punkte als Benotung waren mir unbekannt, aber daran gewöhnt man sich ja schnell. Durch das Kurssystem kannte ich auch bald die meisten der ca 100 Schüler.
Im Nachhinein bereue ich es jedenfalls kein bisschen, das Schuljahr „verpasst“, also im Ausland verbracht zu haben. Abgesehen von den ganzen Erlebnissen und Abenteuern in Costa Rica bekam ich dadurch die Möglichkeit, tolle neue Leute kennenzulernen, fand ein Volleyballteam in meiner Stadt und habe außerdem noch Zeit, über meine Studienwahl nachzudenken.

Noch Monate nach meiner Rückkehr stellte man mir häufig die Frage: „Na, hast du dich gut wieder eingelebt?“ Wirklich bejahen konnte ich das erst im Winter. Und auch dann noch überkam mich manchmal die Sehnsucht nach Zarcero, meiner Gastmutter Rocio und getoasteten Kochbananen.
Ich hatte allerdings das große Glück, bald schon zurückkehren zu dürfen.
Zu meinem Geburtstag im Januar bekam ich die Flugtickets und ein halbes Jahr später war es so weit: meine Familie und ich reisten für einen Monat nach Costa Rica!

Aber das ist eine andere Geschichte… Und die erzähle ich dann im nächsten und vorerst letzten Blogpost auf dieser Seite.

Bis dann,

Annika  ❤

Ein Kommentar zu „Umgekehrter Kulturschock

Was denkst du dazu? Schreib einen Kommentar!